Den Hund als Ganzes sehen (und wahrnehmen)
Besitzern wird oftmals beigebracht, nach offensichtlichen Merkmalen des Hundes zu suchen. Der Schwanz oder die Stellung der Ohren, Körperspannung oder Entspannung, geweitete oder verengte Pupillen. Und so weiter und so fort.
Dies sind zwar alles wertvolle Informationen, jedoch auch nicht mehr… nur Bruchstücke. Und weil sie alle nur Teil des Ganzen sind, sind diese Informationen auch sehr begrenzt.
Gemeinsam mit der Körpersprache, vor allem wenn man nur einzelne Aspekte betrachtet oder diese abgrenzt, kann dies zu Konflikten oder Fehlinformationen führen. Ein Signal, welches eine Bedeutung haben SOLLTE, könnte plötzlich etwas ganz anderes bedeuten. Oder was, wenn ein Hund sehr schnell hintereinander verschiedene Signale aussendet. Dann bleiben Sie auf der Strecke und versuchen, all diesen widersprüchlichen und wechselnden Informationen Bedeutung beizumessen.
Wenn ich Kunden habe, mit denen ich zusammen arbeite, oder wenn ich jemanden sehe, der mit seinem Hund arbeitet, dann frage ich immer: „Was siehst du? Was fühlst du?“
Fast ausnahmslos bekomme ich immer Antworten bezüglich eines (oder mehrer) offensichtlichen Merkmals der Körpersprache. Mir wird mit einer Analyse zum gezeigten Verhalten des Hundes geantwortet – aber fast nie bekomme ich zu hören, was der Mensch wirklich sieht/fühlt, wenn er all die Informationen, die er empfängt, zusammen nimmt.
Und dies führt zum Chaos.
Wir ignorieren unzählig viele Dinge, die wir zwar teilweise wahrnehmen, und konzentrieren uns nur auf das Offensichtliche. Wir sehen und spüren weit mehr als nur die wenigen offensichtlichen Dinge, die auf offensichtliche Weise präsentiert werden. Wir sehen uns in Wahrheit das Tier als Ganzes an und zwar so gründlich, dass weit mehr abgestimmte und feinfühligere Analysen möglich wären, als nur eine oberflächliche Zusammenfassung, wenn wir dies zulassen würden. Wenn wir uns darauf einlassen würden.
Und dies ist die eigentliche Schwierigkeit, wenn es darum geht, das Verhalten des Hundes zu lesen. Die eigentliche Schwierigkeit des erfolgreichen Trainings. Der eigentliche Trick, um auf der sicheren Seite zu sein und zu bleiben.
Wir sind Tiere, denen sowohl eine tiefgründige und bewusste Analyse ALS AUCH tiefgründige Gefühle möglich sind (Wobei „Fühlen“ hier nur eine andere, weniger bewusste Form der Analyse darstellt.) Leider hören wir meist nur auf die bewusste, analytische Hälfte unseres Verstands und das dafür gründlich. Viele von uns haben beim Versuch, unsere großen Gehirne zu füllen und auf sie zu hören, die Fähigkeit, auf unser eigenes instinktives Tier zu hören, verloren. Und obwohl es immer noch in uns ist, so haben wir uns doch zu oft und zu sehr auf andere Teile konzentriert und die Intuition ist uns entweder fremd geworden, oder wir können sie kaum noch „hören“.
Aber sie ist immer noch in uns. Wenn wir nur genau hinsehen und hören. Wenn wir uns darauf konzentrieren, genauso viel zu spüren, wie wir denken. Wenn wir das bequeme und bekannte Geplapper der bewussten Analyse ausblenden und das instinktive Tier in uns, das seit Anbeginn dabei war, wieder zum Vorschein bringen.
Wenn du dich wirklich darauf einlässt, dann kannst du auf beides zugreifen und beides nutzen. Dann kannst du den Hund, mit dem du arbeitest, wirklich geistig wahrnehmen und verstehen.
Und darin liegt die wahre Kunst.